standpunkte

obwohl also alle fotografischen standpunkte “gleichwertig” sind, muß der fotograf bei seiner entscheidung werten. diese scheinbar unüberwindliche dialektik (diese “qual der wahl”) ist allerdings weniger dramatisch, als man annehmen könnte. der druck auf den knopf ist nicht unwiederruflich (wie es etwa jener druck ist, der einen atomkrieg auslöst). er ist, im gegenteil, eine verantwortungslose geste: der fotograf kann sie hundertmal in der minute wiederholen, und er kann das daraus entstandene bild verwerfen. er verfügt über eine große, aber verantwortungslose wahlfreiheit während des fotografierens. erst im privatraum, wenn er aus den aufnahmen die zu publizierende wählt, hat er sich existenziell zu entscheiden. die existenzielle entscheidung ist beim fotografieren aus dem universum der tat ins universum der betrachtung, aus der praxis in die theorie verschoben.

villem flusser: standpunkte